Text: Christina Iglhaut
Die Zukunftsforscherin
Globale Megatrends wie die Klimakrise oder das Artensterben sind ihr Tagesgeschäft: DAAD-Alumna und Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) Professorin Anna-Katharina Hornidge will die Zukunft nachhaltiger und fairer gestalten.
Professorin Anna-Katharina Hornidge hat es oft eilig. Um 8:00 Uhr biegt sie mit dem Fahrrad in die Lennéstraße in Bonn ein für ihren ersten Termin heute: eine Vorlesung zur Entwicklungssoziologie. „Entwicklungstheorie und -politik in ihrer Umsetzung“ steht auf dem kleinen Raumplan neben der Hörsaaltür. „Ich muss hier schnell noch ein paar Sachen aufbauen, damit unsere internationalen Studierenden an der Vorlesung teilnehmen können“, erklärt die Soziologin und steigt auf einen Stuhl, um den Beamer zu erreichen. „Hier fehlt noch ein Kabel.“ Keine drei Stunden später wird sie ein virtuelles Meeting mit Vertretern und Vertreterinnen der G7-Staaten leiten, eine ihrer zehn Promovierenden beraten und anschließend an einem Coaching für Führungskräfte teilnehmen. Eine Frau. Ein Fahrrad. Viel zu tun.
„Wir befinden uns in einer Zeit wachsender, miteinander verbundener Krisen, die sowohl ökologischer, politischer, sozialer und auch wirtschaftlicher Natur sind.“
Die DAAD-Alumna ist seit 2020 Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), ehemals das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE), und Professorin für Globale Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bonn. Während ihrer Studienzeit ging sie als DAAD-Stipendiatin mehrfach ins Ausland. „Diese Aufenthalte haben mich sehr geprägt“, sagt sie. Bis heute spiele Austausch eine wichtige Rolle für ihre Arbeit. „In meiner Forschung setze ich mich damit auseinander, wie Wissen produziert und weitergegeben wird und welche Rolle unterschiedliche Wissensbestände in der Bewältigung globaler Herausforderungen spielen.“ Sie beschäftige sich mit globalen Megatrends wie der Klimakrise oder dem Artensterben und der Frage, wie Deutschland zur Bewältigung der Krisen beitragen kann. „Wir befinden uns in einer Zeit wachsender, miteinander verbundener Krisen. Sie können nur durch transnationale Kooperation bewältigt werden“, erklärt die Soziologin.
Was dabei wichtig ist, bespricht sie heute auch mit ihren Studierenden. Hornidge berichtet, dass viele Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas kritisieren, dass die Transformation zur Nachhaltigkeit von Ländern Europas oder Nordamerikas vorgegeben würde und die betroffenen Länder zu wenig Mitspracherecht hätten. „Wir müssen gemeinsam über globale Krisen diskutieren und gemeinsam Entscheidungen treffen. Viele Vertreterinnen und Vertreter dieser Länder sagen zu Recht: ‚Wenn ihr kooperieren wollt, dann bitte auf Augenhöhe‘.“
IDOS bringt Forschung, Politikberatung und Ausbildung zusammen
Internationale Kooperationen auf Augenhöhe haben auch am IDOS höchste Priorität. Das Institut mit Sitz in der UN-Stadt Bonn zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten zu Fragen globaler nachhaltiger Entwicklung. „Wir untersuchen dabei ein sehr breites Themenspektrum: Es geht um politische Regimeausgestaltung, Migrations- und Konfliktforschung, globale Handelssysteme, um Klima-, Biodiversitäts- und Meerespolitik sowie Wassermanagement. Immer mit dem Ziel, Transformationsprozesse in Richtung mehr Nachhaltigkeit wissenschaftlich zu unterstützen“, erklärt die IDOS-Direktorin. Außerdem gibt es im IDOS eine eigene Abteilung, die sich mit Wissenskooperationen auseinandersetzt, hier wird das multilaterale System untersucht. Dort angesiedelt ist auch das Postgraduiertenprogramm des IDOS, das Masterabsolventinnen und -absolventen umfassend auf den Berufseinstieg in der internationalen Zusammenarbeit vorbereitet. „Wir sind Wissenschaftsinstitut und Thinktank. Das ist wichtig, weil wir einerseits langfristige, empirisch basierte Forschungsprojekte durchführen, und andererseits immer Wege suchen, unsere Forschungsergebnisse in politische Beratungsformate zu gießen. Unsere Forschung soll entscheidungsrelevant sein“, sagt Hornidge, legt ihren Fahrradhelm auf ihren Schreibtisch und nimmt dahinter Platz.
„Ich muss forschen! Das ist das, was mich antreibt und motiviert. Es ist extrem wichtig, immer wieder rauszukommen, in andere Länder, ins Feld.“
In dem Regal an der Wand stehen zahlreiche Bücher über Singapur – ein Land, das sie durch ihren vom DAAD geförderten Auslandsaufenthalt kennenlernte. Außerdem ein Foto von Hornidge beim Think7-Gespräch im Kanzleramt, neben ihr Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Think7-Prozess ist ein Zusammenschluss führender Thinktanks aus den G7-Ländern, die gemeinsam forschungsbasierte politische Empfehlungen zur Unterstützung der G7-Präsidentschaft entwickeln. Während der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 erhielt IDOS gemeinsam mit der Global Solutions Initiative vom Kanzleramt das Mandat für den Vorsitz des Prozesses. „Think7 bringt über 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zusammen, um für die internationale Politik konkrete und nachhaltige Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Heute übergeben wir unseren Think7-Vorsitz an Japan, das 2023 die G7-Präsidentschaft innehat“, und schon startet die IDOS-Direktorin das virtuelle Meeting.
Neben den virtuellen Treffen, der Politikberatung und der Lehre ist Hornidge eines besonders wichtig: Zeit für die eigene wissenschaftliche Arbeit. „Ich muss forschen! Das ist das, was mich antreibt und motiviert. Es ist extrem wichtig, immer wieder rauszukommen, in andere Länder, ins Feld.“ In Ost-Indonesien habe ihr zum Beispiel in einem aus lokalen Materialien gebauten Häuschen eine Kleinbäuerin erklärt, wie man Mais so verstaut, dass er die gesamte Regenzeit über frei von Ungeziefer bleibt, gut gelagert wird und so die Familie ernährt. In Tadschikistan zeigte ihr ein lokaler Landwirt, wie er Obstbäume veredelt und wie dieses landwirtschaftliche Wissen von seinem Großvater an ihn weitergegeben wurde. „Ich will mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass wir besser über Ländergrenzen hinweg kooperieren und mit unseren natürlichen Ressourcen sparsamer und nachhaltiger umgehen. Diese Erfahrungen vor Ort zeigen mir immer wieder den Wert von Austausch und die Dringlichkeit von ständigem Perspektivwechsel. Das versuche ich auch meinen Studierenden mit auf den Weg zu geben.“ —
Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge ist seit 2020 Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und Professorin für Globale Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bonn. Davor lehrte sie Sozialwissenschaften in den marinen Tropen an der Universität Bremen und war Abteilungsleiterin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen.