Text: Sarah Kanning
„Der polnische Film ist in Bewegung“
Radikal und manchmal international: ein Blick in die aktuelle Filmlandschaft Polens.
Acht Jahre lang, von 2015 bis 2023, wurde Polen von Rechtspopulisten und Nationalisten regiert. Wer sich für liberale Werte, Freiheit und Demokratie einsetzte, hatte es in diesen Jahren oft schwer – das betraf nicht nur Politik, Gerichtsbarkeit und Wissenschaft, sondern gerade auch Medien- und Kunstschaffende.
Nachdem ihr neuer Film „Die grüne Grenze“ (Zielona granica, 2023) über sogenannte Pushbacks gegen Migranten an der Grenze von Polen und Belarus kurz vor den Parlamentswahlen 2023 in die Kinos kam, musste beispielsweise die wohl bekannteste Filmemacherin Polens, Agnieszka Holland, Personenschützer engagieren. Ihre Kritiker aus dem rechtskonservativen Lager warfen der 74 Jahre alten Regisseurin vor, ihr Land zu „bespucken“ und eine „Handlangerin Putins“ zu sein.
„Polen ist eine gespaltene Gesellschaft“, sagt Dr. Martin Krispin, Leiter der DAAD-Außenstelle Warschau. „Die beiden großen politischen Lager stehen sich unversöhnlich, ja feindlich gegenüber, was sich unter anderem in einer Entgrenzung der Sprache niederschlägt“, so Krispin. Die Konfliktthemen im Land seien groß. Allein das Thema Abtreibung brachte 2021 Hunderttausende Menschen auf die Straße. Daneben gibt es erbitterte Auseinandersetzungen um Migration, die Rolle Polens in der Europäischen Union und die Frage um Integration und Internationalisierung.
Diese Spaltung spiegelt sich im polnischen Film wider. Während die PiS-Regierung politisch Einfluss auch auf Filmproduktionen nahm und beispielsweise ganze Schülergruppen in staatlich mitfinanzierte heroische Historiendramen wie „Pilecki’s Report“ (Raport Pileckiego, 2023) oder „Orlęta. Grodno ’39“ (2022) schleuste, setzen sich Filmemacherinnen und -macher mal leise, mal radikal mit den gesellschaftlichen Fragen auseinander – und finden internationale Beachtung.
„Es gibt momentan spannende Filme und großartige Geschichten im polnischen Kino“, sagt Dr. Kalina Kupczyńska, Literaturwissenschaftlerin in der Abteilung Deutschsprachige Medien und Österreichische Kultur an der Universität Łódź. Die DAAD-Alumna, die von 2010 bis 2022 mehrfach für Forschungsaufenthalte und Dozenturen in Deutschland gefördert wurde, beschäftigt sich unter anderem mit Filmadaptionen deutschsprachiger Literatur, mit autobiografischen und historischen Comics, mit Comics über Gender- und LGBTQ-Fragen sowie Gegenwartsliteratur aus Österreich.
Internationale Bekanntheit erzielte beispielsweise der Film „Die Frau auf dem Dach“ (Kobieta na dachu, 2022), der unter anderem auf Festivals in Gdynia und New York ausgezeichnet und auch in Deutschland gezeigt wurde. Regisseurin Anna Jadowska erzählt in der polnisch-französisch-schwedischen Koproduktion die Geschichte einer unscheinbaren älteren Hauptfigur, die schließlich einen radikalen Ausbruch aus ihren Zwängen wagt. Kamerafrau Ita Zbroniec-Zajt setzt die Kälte und Distanziertheit der Lebenswelt der Protagonistin in überstrahlten Farben um. „Die Sensibilität für marginalisierte Gruppen setzt sich nun verstärkt auch im polnischen Kino durch“, sagt Kalina Kupczyńska. „Schonungsloser Realismus verbunden mit bestechender Filmästhetik sind Merkmale dieses Kinos.“ In „Brot und Salz“ (Chleb i sól, 2022) beispielsweise werde ein junger Mann Zeuge einer Spirale aus Rassismus und Gewalt zwischen Dorfbewohnern und arabischstämmigen Betreibern eines Dönerimbisses. In „Woman of“ (Kobieta z…, 2023), einem Spielfilm von Małgorzata Szumowska und Michał Englert, der beim Filmfestival von Venedig uraufgeführt wurde, müsse sich hingegen ein junger Mann aus der Provinz mit seiner Transgeschlechtlichkeit auseinandersetzen, und zwar im realsozialistischen Polen der 1970er-und 1980er-Jahre.
Dass auch historische Filme neu gedacht werden könnten, zeige der Film „Kos“ (2022) von Paweł Maślona über Tadeusz Kościuszko, der mit Anleihen an Tarantino eine Art gebrochenen Superhelden auf die Leinwand bringe und in weiten Teilen auf Englisch erzählt sei. „Dieser Film gibt mir Hoffnung, denn er durchbricht die im polnischen Kino gängige Reduzierung auf männliche heroische Narration“, sagt Kupczyńska. „Junge Menschen wollen heute auch andere historische Filme sehen, das hoffe ich zumindest.“
Die Außenstelle in Warschau beobachtet als Wissenschafts- und Kulturmittlerin sehr aufmerksam die politischen und künstlerischen Diskussionslinien im Land und fördert den Dialog zwischen Kunstschaffenden und Wissenschaft unter Bildungsgesichtspunkten. „Der DAAD und die Außenstelle Warschau bieten unter anderem ein Programm für Künstlerinnen und Künstler an, darunter in Bildender Kunst, Film und Musik“, sagt Außenstellenleiter Martin Krispin. Seit 1997 wurden insgesamt mehr als 10.000 Personen aus Polen in allen DAAD-Programmen gefördert.
Eine starke Bewegung weiblicher Filmschaffender beobachtet die polnische Filmregisseurin, 2D-Animatorin, Illustratorin und DAAD-Alumna Paulina Ziółkowska in der polnischen Animationsfilmbranche. „Die Frauen bringen ihre Themen und ihre Erzählweise ein, arbeiten sich aber auch an globalen Phänomenen wie Einsamkeit und dem Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmung ab.“ Da Animationsfilme traditionsgemäß etwas unter dem Radar liefen, könnten hier auch kontroverse Themen gut bearbeitet werden. Aktuell schlössen sich Animationskünstlerinnen und -künstler weltweit immer wieder zu spontanen Film-Flashmobs zusammen und gestalteten kleine Schnipsel zu Protestfilmen beispielsweise gegen die Kriege in Gaza und in der Ukraine oder das Abtreibungsgesetz in Polen. „Der Film ist in Bewegung, er reflektiert und nimmt organisch die Themen auf, die ihn umgeben. Im Moment sind das viele Konflikte und die Proteste dagegen.“ ―