Interview: Klaus Lüber
„Wir müssen Innovation gezielt fördern“
Dr. Peter Schniering ist Gründer des Thinktanks Future Cleantech Architects. Über das Potenzial innovativer Technologien im Kampf gegen den Klimawandel, individuellen Verzicht und die Bedeutung von internationalem Austausch.
Herr Schniering, eine der größten Herausforderungen für unsere Zukunft ist der Klimawandel. Ist uns allen überhaupt schon ausreichend bewusst, was da auf uns zukommt?
Schniering: Das sollte man eigentlich denken, aber viele Menschen unterschätzen nach wie vor, wie grundlegend die menschliche Zivilisation in einigen Regionen bedroht ist. Das hat auch mit sogenannten Kipppunkten zu tun. Das sind Momente, in denen bestimmte Abläufe im Erdsystem irreversibel ins Kippen geraten und Dynamiken anstoßen, die sich viele noch nicht so recht bewusst machen. Dazu gehört etwa das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes. Wenn das passiert, würde der globale Meeresspiegel um sieben Meter steigen – ein schwer vorstellbarer Prozess.
Manchmal hat man den Eindruck, dass solche Konsequenzen auch aktiv verdrängt werden.
Schniering: Auf jeden Fall verläuft die Aufmerksamkeit in Wellen. Es gibt immer mal wieder Megaereignisse von ganz unterschiedlichem Charakter – etwa die Anschläge vom 11. September 2001 oder auch die europäische Schuldenkrise, die das Thema in den Hintergrund gedrängt haben. Auch aktuell erleben wir eher eine Rückwärtsbewegung bei Klimaschutzmaßnahmen. Gleichzeitig bringen Extremwetterereignisse das Thema immer wieder zurück auf die Tagesordnung. Ich befürchte, an dieser Dynamik wird sich auch in naher Zukunft nichts ändern.
Es ist eine weitverbreitete Meinung, dass wir den Klimawandel nur durch eine radikale Änderung unseres Verhaltens und durch eine Anpassung unseres auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystems stoppen können. Was halten Sie von dieser Einschätzung?
Schniering: Ich halte das für eine völlige Überschätzung der Effekte des individuellen Verhaltens. Denn auch in Zukunft wird die Menschheit auf zivilisatorische Infrastrukturen angewiesen sein, die nach heutigem Stand der Technologie sehr treibhausgasintensiv sind. Dazu gehört zum Beispiel die Verwendung von Zement und Beton, die gerade in den noch nicht so entwickelten Regionen der Welt in großen Mengen benötigt werden. Durch individuelle Verhaltensänderungen lassen sich, selbst wenn wir sie konsequent umsetzen, weltweit nur circa 20 Prozent CO2 einsparen. Das hat eine aktuelle Studie des Energieberatungsunternehmens DNV ergeben.
Heißt das, es ist im Grunde egal, wie wir uns im Einzelnen verhalten?
Schniering: Nein, egal ist es nicht. Aber die schlichte Forderung nach einem generellen Stopp des Wirtschaftswachstums ist eine Luxusperspektive der westlichen Staaten, der bereits industrialisierten Welt. Es gibt Milliarden von Menschen, die sich Zugang zu Energie, zu Elektrizität wünschen, die nach wirtschaftlichem Aufstieg und mehr zivilisatorischer Lebensqualität streben. Das Problem wird nicht allein durch Verhaltensänderungen zu lösen sein. Wir brauchen Innovation, wir brauchen Technologien in Kombination mit Verhaltensänderungen, in Kombination mit Leitplanken, mit Zirkularität, mit vielen anderen Maßnahmen.
Wenn Innovation also der Schlüssel ist, was entgegnen Sie denjenigen, die sagen: Dafür haben wir keine Zeit, wir sollten mit dem arbeiten, was wir schon haben?
Schniering: Nun, es gibt natürlich Technologien, die marktreif sind, wie etwa zur effizienten Speicherung von Wärme, oder auch Industriewärmepumpen, um energieintensive Anwendungen im niedrigeren Temperaturbereich zu dekarbonisieren. Diese müssten nun – das ist ja der zweite richtige Faktor – auch ausgerollt werden. Hier ist es wichtig, an einer höheren Akzeptanz in der Bevölkerung und an bürokratischen Vereinfachungen bei Behörden zu arbeiten. Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen dringend technologische Lösungen gebraucht werden, die eben noch nicht marktreif sind. Oder die im Moment noch keine Chance haben, ausgerollt zu werden, weil sie noch viel zu teuer sind. Oder weil die Prozesse bislang nicht existieren, die es überhaupt erst ermöglichen, die Technologie an die bestehende Praxis anzubinden. Dazu gehört der Bausektor mit seinem Klimatreiber Zement, der allein für acht Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist. Dazu gehören auch die Luft- und Schifffahrt, für die es in der Breite noch keine Alternative zu fossilen Antriebstechnologien gibt. Außerdem müssen wir unser gesamtes Energie- und Stromsystem neu ausrichten, das kommt einer Revolution im Marktdesign gleich.
Mit Ihrem Thinktank Future Cleantech Architects wollen Sie genau diese vernachlässigten Sektoren fördern. Wie gehen Sie vor?
Schniering: Wir engagieren uns selbst in der Forschung, um genau zu wissen: Wo liegen die Herausforderungen bei der Entwicklung einer bestimmten Technologie? Zudem unterstützen wir forschungsbasierte Start-ups in der Phase nach der Ausgründung. Für viele ist das ein schwieriger Moment, da sich die Technologie in der Praxis bewähren muss und die Entwicklungszyklen in den Branchen, um die wir uns kümmern, sehr lang sind. Auf Basis dieser beiden Schritte gehen wir dann als unabhängiges und gemeinnütziges Beratungsinstitut auf die Politik zu und unterstützen zum Beispiel bei der Entwicklung von Förderprogrammen oder Leitlinien für so hochkomplexe Systeme wie die Wasserstoffwirtschaft.
Welche technologischen Innovationen haben Sie hier im Blick?
Schniering: Solche mit einem großen Veränderungspotenzial. In der Vergangenheit waren das zum Beispiel Katalysatoren, heute ist es die Photovoltaik. Aktuelle Beispiele sind Lösungen für die Baubranche, die alternative, nicht kalksteinbasierte Zementmischungen herstellen oder Verfahren entwickeln, die Materialien wesentlich effizienter und damit ressourcenschonender einsetzen. Es muss auch gar nicht unbedingt ein technisches Tool sein, auch ein Förderrahmen kann eine enorme Veränderungsdynamik entwickeln. Ich glaube, man kann sagen, die Solarindustrie wäre weltweit gerade nicht so erfolgreich, hätte es die intensive Förderung durch das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht gegeben. Bei aller Kritik an der Umsetzung in Deutschland – bezogen auf den internationalen Durchbruch der Technologie ist das eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht.
Wie wichtig ist internationale Kooperation im Kampf gegen den Klimawandel?
Schniering: Absolut entscheidend. Für unsere Zukunft ist Innovation genau wie globale Zusammenarbeit unverzichtbar. Wir müssen Innovation gezielt fördern. Keine der Herausforderungen, vor denen wir angesichts des menschengemachten Klimawandels stehen, kann irgendein Land in irgendeiner Form selbst bewältigen. Und es gibt nach wie vor große Unterschiede zwischen einzelnen Kultur-, Wirtschafts- und Rechtsräumen. Man sieht das schon im transatlantischen Vergleich zwischen Deutschland und den USA. Wir sollten die Chance nutzen, voneinander zu lernen, Schwächen auszugleichen und Stärken zu potenzieren.
Sie sind nach Ihrer Promotion als Stipendiat des Carlo-Schmid-Programms nach Paris gegangen und haben dort für die Internationale Energieagentur gearbeitet. Was bedeutet Ihnen dieser Schritt?
Schniering: Das war einfach eine großartige Zeit. Ich bin nach wie vor beeindruckt von der Art und Weise, wie dort länderübergreifend gearbeitet wird. Das kannte ich schon von der UNO, für die ich während meiner Dissertation beratend tätig sein durfte, und ich halte internationale Zusammenarbeit nach wie vor für eine der wichtigsten Kompetenzen, um im Klimaschutz voranzukommen. Insofern profitiere ich auch heute noch von dieser Förderung. —
Dr. Peter Schniering ist Gründer von Future Cleantech Architects (FCA), einem gemeinnützigen Thinktank für Klimainnovationen mit Sitz in Remscheid. Er studierte im interdisziplinären Nordamerikaprogramm der Universität Bonn und promovierte 2007 zu „Climate Policy and Technology“. Anschließend arbeitete er, gefördert durch das Carlo-Schmid-Programm des DAAD, für die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris. Es folgten Stationen bei der Strategieberatung Roland Berger und den Vereinten Nationen, wo er neue Energieportfolios entwickelte. Zudem war er Berater am Sekretariat des UN-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen in Bonn.
Erfahren Sie im Videoporträt mehr über das Engagement von Dr. Peter Schniering.