Interview: Miriam Hoffmeyer
„Komplexe Fragen müssen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden!“
Der Traum vom Fliegen im Weltall hat auch die Astronauten-Ausbilderin Grier Wilt noch nicht losgelassen. Wie Deutschland an ihrem Lebensweg maßgeblich beteiligt war und über Trainings in fußballfeldgroßen Swimmingpools, erzählt sie im Interview.
Frau Wilt, Sie haben einen Arbeitsplatz, um den Sie sicher viele beneiden: Sie arbeiten bei der NASA und beschäftigen sich mit unterschiedlichen Facetten der Weltraumerforschung. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Jeden Tag anders: Seit 2022 gehöre ich zu den „CapComs“, die in Houston abwechselnd die direkte Kommunikation mit Astronautinnen und Astronauten im Weltall übernehmen. An meinen Einsatztagen wecke ich die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS und übermittle die Anweisungen der Bodenkontrolle. Die meisten CapComs sind erfahrene Astronauten, so auch Alexander Gerst. An anderen Tagen plane ich Weltraumspaziergänge an der ISS oder bilde internationale Astronautinnen und Astronauten aus. Alle ISS-Besatzungsmitglieder müssen ja Reparaturen oder Experimente im Außenbordbereich ausführen. Dabei bewegen sie sich an Handläufen und arbeiten abwechselnd in totaler Dunkelheit und blendend hellem Licht, während die ISS mit 28.000 Stundenkilometern die Erde umkreist. Auf diese Aufgaben bereite ich sie vor. Wir trainieren teils virtuell, teils am Modell der ISS in einem Indoor-Pool, der so groß ist wie ein Fußballplatz. Im Rahmen der Artemis-Missionen bilde ich auch das Team für die nächste Mondlandung aus, etwa im Umgang mit einem neuartigen Mondfahrzeug. Langweilig wird mir also nicht!
Von 2019 bis 2021 waren Sie stellvertretende Direktorin für NASA-Operationen im Kosmonauten-Trainingszentrum „J. A. Gagarin“ nahe Moskau. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Vom normalen Leben in Russland habe ich auf dem abgeschotteten Gelände wenig mitbekommen, auch wegen der damaligen Corona-Einschränkungen. Sehr cool fand ich, dass die Witwe von Juri Gagarin, dem ersten Menschen im All, gleich neben mir wohnte. Und der gute Zusammenhalt in unserem internationalen Team war eine tolle Erfahrung. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Naturwissenschaft und Technik halte ich für enorm wichtig, weil komplexe Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden müssen. Das ist mir zum ersten Mal klar geworden, als ich 2007 in Deutschland war. Ich war damals Bachelorstudentin in Maschinenbau an der Penn State University (PSU), dank eines RISE-Stipendiums des DAAD konnte ich ein dreimonatiges Forschungspraktikum an der Universität Freiburg machen. Für mich war das die erste längere Auslandserfahrung und ich bin daran wirklich gewachsen! Ich habe mit interessanten Menschen spannende Diskussionen geführt, nicht nur über Wissenschaft, sondern auch über Politik. Das hat mich motiviert, einen zweiten Bachelorabschluss in „Internationalen Studien“ an der PSU zu machen und weitere Auslandserfahrungen in Australien und Marokko zu sammeln.
Danach haben Sie an der University of Washington (UW) in Seattle ihr Masterstudium in Maschinenbau absolviert und wurden kurz nach Ihrem Abschluss 2013 bei der NASA eingestellt. Wollten Sie schon immer dort arbeiten?
Ja, mein erstes NASA-Praktikum habe ich schon während der High School gemacht. Aber meine Begeisterung für den Weltraum entstand noch früher: Als ich fünf Jahre alt war, brachte mein Vater ein Teleskop nach Hause, das wunderschön glänzte. Wir wohnten im ländlichen Pennsylvania, wo man den Sternenhimmel gut beobachten kann. Da oben will ich hin, sagte ich – und mein Vater antwortete: Dann musst du Astronautin werden. Meine Eltern haben mir viel zugetraut und mich sehr unterstützt. Geld für zusätzliche Bildungsangebote hatten sie aber nicht. Ich bin sehr froh, dass es das kostenfreie kommunale Bildungsprogramm „Saturday Science“ gibt. Das hat mir die Welt der Naturwissenschaften eröffnet: Wir haben Kokosnüsse vom Dach geworfen, um die Fallbeschleunigung zu verstehen, DNA aus Gemüse extrahiert und auch schwierige Gleichungen gelöst – und hatten dabei sehr viel Spaß.
Warum sind solche praxisnahen Bildungsprogramme wichtig?
Sie wecken nicht nur Interesse für Naturwissenschaft und Technik, sondern vermitteln auch die Fertigkeiten, die man braucht, um eigenständig an Probleme heranzugehen. So gewinnen Kinder – besonders Mädchen – das nötige Selbstvertrauen, um sich für ein MINT-Studium zu entscheiden. Ich habe mich in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen engagiert, um das Potenzial von Kindern zu fördern, unter anderem als Mentorin bei „Big Brothers Big Sisters of America“. Und ich halte auch regelmäßig Vorträge in Schulen, um Kinder und Jugendliche für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.
Und wollen Sie eigentlich immer noch in den Weltraum fliegen?
Und ob! Mein Bewerbungsverfahren als Astronautin läuft, hoffentlich klappt es.