Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im vergangenen Jahr markierte eine Zäsur für die Politik und auch für das deutsche Wissenschaftssystem. Eine Diskussion nahm Fahrt auf, die schon früher begonnen hatte: Wie kann die deutsche Außenwissenschaftspolitik den Herausforderungen einer veränderten Welt begegnen?
„Wir leben in einer neuen ‚Welt-Unordnung‘ und dies erfordert einen neuen Angang an die Gestaltung der außenwissenschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“, sagt DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee. „In unserer multipolaren Welt brauchen wir heute mehr denn je eine strategisch aufgestellte Science Diplomacy, die auch in Zeiten zunehmender Konflikte und eines harten globalen Wettbewerbs Verständigung, Dialog und Aushandlung von Konflikten im wissenschaftlichen Raum ermöglicht.“
Der DAAD plädierte schon 2021 für eine neue Außenwissenschafts-Realpolitik. „Wir dürfen nicht glauben, dass bei wissenschaftlicher Kooperation und Austausch alle Partner immer dieselben Ziele verfolgen und ein gemeinsames Wertefundament teilen“, sagt Dr. Sven Werkmeister, Direktor der Abteilung Strategie im DAAD. Notwendig sei ein „sachlich-rationaler Blick“: „Es geht darum, Chancen und Risiken von Kooperationen genau zu analysieren und zu reflektieren. Gerade im Kontext geopolitischer Konfliktkonstellationen bedarf es eines informierten Abwägens zwischen den Möglichkeiten, die ein konkretes Kooperationsprojekt eröffnet, und seinen potenziellen Risiken wie zum Beispiel Spionage oder unerwünschtem Wissensabfluss.“
Zugleich betont Werkmeister, international vernetzte Forschung sei heute wichtiger denn je: „Die Klimakrise, der Verlust an Biodiversität oder Fragen der künftigen Versorgung mit Energie und Rohstoffen können nicht auf nationaler Ebene, sondern nur global angegangen werden.“ Und nach wie vor profitiere Deutschland sehr vom internationalen wissenschaftlichen Austausch: nicht nur durch Erkenntnisgewinne in der Forschung, sondern auch durch eine bessere akademische Qualifizierung und mehr interkulturelle Kompetenz der Studierenden und Lehrenden. Nicht zuletzt, so Werkmeister, bildeten weltweite Alumninetzwerke langfristige Grundlagen für partnerschaftlichen Austausch und Zusammenarbeit.
In dem Positionspapier „Außenwissenschaftspolitik für eine multipolare Welt“ schlägt der DAAD fünf Grundsätze für die Gestaltung einer Science Diplomacy vor, die sich bewusst den globalen Krisen und Systemrivalitäten stellt: Außenwissenschaftspolitik müsse demnach wertebasiert, verantwortungsorientiert, interessengeleitet, regional differenziert und risikoreflexiv sein. Konkret würden alle Aspekte am Beispiel Chinas, erläutert Werkmeister: „China ist einerseits ein Partner, ohne den die globale Verantwortungsgemeinschaft die Herausforderungen des Anthropozäns nicht lösen kann. In zentralen Forschungsindikatoren wie der Zahl naturwissenschaftlicher Publikationen gehört China inzwischen zur Weltspitze und ist auch ein wichtiges Entsendeland internationaler Studierender nach Deutschland. Andererseits ist China ein Land, in dem es keine Wissenschaftsfreiheit in unserem Sinne gibt und in dem auch die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung häufig fließend ist.“