Text: Klaus Lüber
Wissenschaftsdiplomatie auf Augenhöhe
Besonders angesichts globaler Krisen zeigt sich das große Potenzial einer engeren Zusammenarbeit von Wissenschaft und Diplomatie. Wie die Arbeit der Deutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH) hierzu einen wichtigen Beitrag leistet.
Professorin Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Als Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nimmt sie unmittelbaren Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse in Deutschland. Grimms Spezialgebiet ist die Energiewirtschaft. Sie plädiert für eine konsequente Dekarbonisierung durch Elektrifizierung aus erneuerbaren Energiequellen. Dort, wo dies nicht möglich sei, sollte grüner Wasserstoff eingesetzt werden. Hierbei sei Deutschland angewiesen auf internationale Partnerschaften.
„Wir wollten einen Austausch zur jeweils spezifischen Perspektive beider Länder anregen.“
Marcio Weichert, Leiter der Programmarbeit des DWIH São Paulo
Diese Position vertrat Veronika Grimm auch in ihrer einleitenden Keynote des 10. Deutsch-Brasilianischen Dialogs zu Wissenschaft, Forschung und Innovation, der am 16. und 17. Mai 2023 in São Paulo stattfand. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) São Paulo. Als Teil eines weltweiten Netzwerks von aktuell sechs DWIH setzt es sich dafür ein, Forschungskooperationen zwischen den beiden Ländern zu fördern. Dabei nahm das Haus in letzter Zeit auch verstärkt die politische Entscheidungsebene in den Blick. „Insofern war es natürlich ideal, dass wir Professorin Grimm in ihrer Position an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik für den Dialog gewinnen konnten“, berichtet Marcio Weichert, Leiter der Programmarbeit des DWIH São Paulo.
Neue Impulse seit 2020
Der Dialog bot brasilianischen und deutschen Expertinnen und Experten aus Forschung, Wirtschaft und Industrie die Möglichkeit, über Herausforderungen und Chancen der Energiewende zu diskutieren. „Wir wollten einen Austausch zur jeweils spezifischen Perspektive beider Länder anregen“, berichtet Weichert. „Frau Grimm und die weiteren Vortragenden aus Deutschland hatten also nicht nur die Gelegenheit, die deutsche Haltung zu diesem Thema darzustellen, sondern lernten während der beiden Tage auch die brasilianische Sicht kennen. Das ist für den internationalen Austausch auf wissenschaftlicher und politischer Ebene natürlich besonders wertvoll.“ Ende Juli 2023 war das DWIH zudem an der Veranstaltung „Wissenschaftsdiplomatie“ des Bayerischen Hochschulzentrums für Lateinamerika (BAYLAT) beteiligt. „Wir haben über Herausforderungen und Aktionen im Bereich der Wissenschaftsdiplomatie aus deutsch-brasilianischer Perspektive diskutiert. Dabei ist es uns gelungen, Forschende, politische Akteurinnen und Akteure sowie Wissenschafts- und Förderinstitutionen miteinander zu vernetzen.“
Was Marcio Weichert beschreibt, sind erfolgreiche Beispiele für Science Diplomacy, einem neuen, zentralen Handlungsfeld der deutschen Außenpolitik, welche vor allem das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik im Hinblick auf die Bewältigung globaler Fragen verbessern will. „Die Herausforderungen des Anthropozäns verlangen nach internationalen Antworten auf die Bekämpfung des Klimawandels, den Erhalt von Artenvielfalt, ein neues Verständnis der Auswirkungen menschlichen Handelns auf die natürliche Lebenswelt ebenso wie auf den technologischen Wandel, nachhaltiges Wirtschaften und Fragen der Diversität in den nationalen Gesellschaften“, heißt es in einem Ende 2020 veröffentlichten Strategiepapier des Auswärtigen Amts hierzu.
Dialogplattform für Indisch-Deutsche Forschungskooperation
Das Papier sorgte für neue Impulse auch in der Arbeit des DWIH-Netzwerks, das 2009 gegründet wurde, um auf eine zunehmende Internationalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung zu reagieren und diese um die Industrie als wichtigen Akteur zu erweitern. „Lange Zeit haben wir uns dabei vor allem auf die Anbahnung von Forschungskontakten konzentriert“, berichtet Dr. Katja Lasch, Leiterin des DWIH Neu-Delhi. „Doch nach der Veröffentlichung der deutschen Außenwissenschaftsstrategie haben auch wir unsere Rolle noch einmal ein wenig neu justiert.“ Lasch und ihr Team entwickelten dazu eine Reihe von Dialogformaten, „um auch über übergeordnete Fragen ins Gespräch zu kommen.“ Zu diesen neuen Formaten gehört etwa der „Indo-German Research Day“, eine eintägige Onlineveranstaltung, die indische und deutsche Forschungsinstitute und Universitäten sowie internationale Förderinstitutionen zusammenbringt, um auch über wissenschaftspolitische Themen ins Gespräch zu kommen.
„Nach der Veröffentlichung der deutschen Außenwissenschaftsstrategie haben auch wir unsere Rolle noch einmal ein wenig neu justiert.“
Dr. Katja Lasch, Leiterin des DWIH Neu-Delhi
Inhaltlich greift die Eventreihe unterschiedliche Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, den freien Zugang zu Wissenschaftsdaten oder den öffentlichen Vertrauensverlust in die Wissenschaft auf. Die Teilnehmenden haben die Gelegenheit, sich dazu auszutauschen. „Ganz entscheidend dabei ist, den Dialog gemeinsam zu führen“, so Lasch. „Bei der Neuausrichtung der Wissenschaftsdiplomatie geht es meiner Meinung nach nicht darum, unsere Perspektive in ein anderes Land zu exportieren, sondern einen Diskurs auf Augenhöhe zu führen.“ Das DWIH Neu-Delhi könne hier als Vermittler und Übersetzer fungieren, erklärt Lasch. Wie wirksam dies im Sinne eines politischen Hebels für Veränderung sein kann, zeigte die kürzliche Mitarbeit der DWIH-Leiterin in einer von Indien initiierten Arbeitsgruppe zur Förderung von Start-ups im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft.
Die Weltpolitik vor der Haustür
Für das DWIH New York liegt der Zugang zur Weltpolitik praktisch vor der Haustür. Im Osten Manhattans, in direkter Nachbarschaft zum Standort des DWIH im German House, befindet sich das Hauptquartier der Vereinten Nationen, vielleicht eine der wichtigsten Adressen für die Aushandlung globaler diplomatischer Beziehungen. Dennoch könnte der Austausch besser sein, wie DWIH-Programmleiter Dr. Jan Lüdert feststellt. „Wir wissen ja inzwischen, wie wichtig es angesichts multipler globaler Krisen ist, Wissenschaft und Politik im Sinne einer Science Diplomacy noch stärker in den Austausch zu bringen. Aber gerade die institutionelle Integration findet unserer Meinung nach noch zu wenig statt.“
„Gerade die institutionelle Integration findet unserer Meinung nach noch zu wenig statt.“
Dr. Jan Lüdert, Programmleiter des DWIH New York.
Lüdert und sein Team arbeiten intensiv daran, dies zu ändern. Ein erster Schritt wäre es, die beteiligten Akteure besser miteinander zu vernetzen. Genau das war auch das Ziel der Netzwerkveranstaltung „Science Diplomacy in International Organizations – Fostering Multilateral Resilience and Driving Sustainable Innovations“, zu dem das DWIH am 30. November 2022 geladen hatte. Rund 30 Teilnehmende aus führenden Forschungseinrichtungen, den Vereinten Nationen, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen hatten sich zusammengefunden, um einerseits die Rolle der verschiedenen Akteure im heutigen Multilateralismus zu erörtern und andererseits die Bedeutung der Wissenschaftsdiplomatie für internationale Organisationen herauszuarbeiten.
Intensiv diskutiert wurden dabei auch die möglichen realpolitischen Grenzen einer wertebasierten Wissenschaftsdiplomatie, etwa im Umgang mit Autokratien, wobei Jan Lüdert gerade in schwierigen Kontexten die Chancen einer sinnvoll eingesetzten Science Diplomacy sieht: „In einer Welt, in der evidenzbasierte Entscheidungsfindung unter Beschuss geraten ist, gilt es, wachsam zu bleiben und Wege zu finden, wie wir die Wissenschaftsdiplomatie stärker als etwas Positives betrachten können, das die Ziele der nachhaltigen Entwicklung auf eine sinnvolle, bewusste und integrative Weise erreichen kann.“ —
Erfahren Sie im Interview mit Dr. Jan Lüdert, wie das DWIH New York Science Diplomacy fördern will.