Text: Johannes Göbel
Wege zur Freiheit
Weltweit ist die Wissenschaftsfreiheit unter Druck. Was kann der akademische Austausch bewirken?
Mit „Stärkung“ lässt sich der arabische Begriff „Ta’ziz“ übersetzen. Er gibt einem neuen DAAD-Programm den Namen, das die akademische Zusammenarbeit zwischen deutschen Hochschulen und Partnern in der MENA-Region fördert. Gestärkt werden dabei nicht nur Lehre, Forschung und Hochschulmanagement, sondern auch Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Mit dem Programm Ta’ziz Partnerschaft soll in den Partnerländern – im Fokus sind insbesondere Tunesien, Irak, Libanon und Sudan – zivilgesellschaftliche Partizipation erleichtert und Diversität, etwa die Teilhabe von Frauen, begünstigt werden. Die Förderung aus Mitteln des Auswärtigen Amts richtet sich insbesondere an Projekte, die Reformen an Hochschulen in den Partnerländern unterstützen. Insgesamt drei Programmlinien zu Kurzmaßnahmen, Wissenschaftskooperationen und Netzwerken bilden die Ta’ziz Partnerschaft. Die Programmlinien verbinde, so der DAAD zu ihrem Start Anfang 2023, „die langfristige Ausrichtung auf eine nachhaltige Stärkung der Wissenschaftsfreiheit“.
Das Beispiel aus der Förderarbeit des DAAD veranschaulicht, dass Wissenschaftsfreiheit mit vielen Faktoren zusammenhängt. In seinem 2022 veröffentlichten Positionspapier zur Außenwissenschaftspolitik macht der DAAD deutlich, es sei eben nicht so, „dass sich Werte wie Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Integrität via akademischen Austausch ‚von allein‘ vermitteln – etwa auf Basis der Annahme, dass Wissenschaft ohnehin nur funktioniere, wenn sie sich diesen Werten verpflichtet fühle“.
Der DAAD setzt zur Stärkung von Wissenschaftsfreiheit auf vielfältige Formate. Sie reichen von Förderprogrammen wie dem Hochschuldialog mit der islamischen Welt, der neben Kooperationsprojekten unter anderem Gendergerechtigkeit unterstützt, bis zu themenspezifischen Veranstaltungen. So führt der DAAD 2023 zum Beispiel die virtuelle Reihe „Dual-Use in internationalen Wissenschaftskooperationen“ seines Kompetenzzentrums Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) fort. Dort werden Fragen der Autonomie von Hochschulen ebenso verhandelt wie ihre ethische Verantwortung angesichts Kooperationen mit in Sicherheitsfragen umstrittenen Partnerländern.
„Am Ende stehen beim Schutz der Wissenschaftsfreiheit Regierungen und Universitäten in der Verantwortung.“
Prof. Dr. Katrin Kinzelbach, Projektleiterin an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg
Auch hat der DAAD Ende 2022 erstmals den mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanzierten Fundamental Academic Values Award vergeben, der Forschung zur Wissenschaftsfreiheit würdigt. Die Premierenpreisträgerinnen Janika Spannagel (DAAD-Alumna, Freie Universität Berlin), Dr. Elizaveta Potapova (Public Policy and Management Institute, Litauen) und Dr. Milica Popović (Central European University, Österreich und Ungarn) beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit Themen wie der Messbarkeit der Wissenschaftsfreiheit, Grenzen der Meinungsfreiheit und ökonomischen Zwängen.
Stichwort Messbarkeit: Der von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und der Universität Göteborg jährlich herausgegebene „Academic Freedom Index“ bewertet den Grad der Wissenschaftsfreiheit in insgesamt 180 Ländern und Gebieten. Projektleiterin Professorin Katrin Kinzelbach von der FAU unterstreicht, dass bloßer Austausch nicht reicht. Zwar erhielten Hochschulangehörige so „Einblicke in das deutsche Wissenschaftssystem, wo die Freiheit von Forschung und Lehre sehr gut geschützt ist“, wie sie sagt. Sicher nähmen einzelne Personen dabei auch Inspiration für Reformprozesse in ihren Heimatländern mit, „doch aus meiner Sicht ist es eine Illusion zu glauben, dass akademischer Austausch automatisch zu mehr Wissenschaftsfreiheit führt“. Vielmehr brauche es eine weiterreichende Anstrengung: „Der DAAD kann Geförderte und aufnehmende Institutionen beraten und begleiten und er hat mit dem Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen eine Anlaufstelle geschaffen. Das ist wichtig, aber am Ende stehen beim Schutz der Wissenschaftsfreiheit Regierungen und Universitäten in der Verantwortung.“ —