Herzenssache

Witzig, klug und eigenwillig

Wir haben Mitwirkende dieser Ausgabe um ihre Lieblingsfilme gebeten – und wir geben auch selbst ein paar Kinotipps.

Ausgabe 1 | 2024

Der Pianist (2002, Regie: Roman Polański)

Dr. Martin Krispin, Leiter der DAAD-Außenstelle Warschau: „Der Film schildert das Überleben des polnisch-jüdischen Radio-Pianisten Władysław Szpilman im Warschauer Getto – ganz ohne heldenhaftes Pathos, aber mit großer Intensität.“

Oh, Mother! (2017, Regie: Paulina Ziółkowska)

Paulina Ziółkowska: „Ein Film über ständige Veränderung, Übergang, Erwachsenwerden und Anpassung. Der Film berührt das Thema der menschlichen Beziehungen, das mich besonders interessiert.“

The Watermelon Woman (1996, Regie: Cheryl Dunye)

Dr. Leila Mukhida: „Ein witziger Film, der eine ernste Frage aufwirft: Was passiert, wenn bestimmte Menschen nicht in den Filmarchiven vorkommen? An welchem Ort kann man nach Solidarität und Identifikation sowie nach einem ­Gefühl für die eigene Genealogie suchen?“

Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Bruxelles (1975, Regie: Chantal Akerman)

Prof. Dr. Vinzenz Hediger: „Die damals erst 25 Jahre alte Regisseurin Chantal Akerman erfand mit diesem Film das Kino aus feministischer Perspektive radikal neu. Der Film zeigt die Geschichte einer alleinerziehenden Hausfrau (Delphine Seyrig), die als diskret zu Hause arbeitende Prostituierte sich selbst und ihren Sohn durchbringt. Eines der großen Kunstwerke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“

Happy Together (1997, Regie: Wong Kar-Wai)

Dr. Hongwei Bao: „Ein wunderschöner, stilvoller Film des eigenwilligen Hongkonger Filmautors Wong Kar-Wai über die Liebesverstrickung zweier Männer. Die Tatsache, dass der Film 1997 vor der offiziellen Übergabe Hongkongs vom Vereinigten Königreich an China gedreht wurde, macht ihn auch politisch bedeutsam.“

The Assassin (2015, Regie: Hou Hsiao-Hsien)

Prof. Dr. Vinzenz Hediger: „Es ist der einzige Wuxia-Film des taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao-Hsien. Eine eigensinnige Neuinterpretation des Genres basierend auf einer Erzählung über eine Kriegerin aus dem 7. Jahrhundert.“

Sterben (2024, Regie: Matthias Glasner)

Prof. Dr. René Harder: „Tief ergreifenden Momenten mit hoher Bildkraft und hohem Erkenntniswert folgen heitere, ja fast alberne Situationen, sodass manche Tränen durch Lachen aus dem Gesicht geschleudert werden. Die Hauptdarsteller*innen Corinna Harfouch, Lars Eidinger und Hans-Uwe Bauer meistern bravourös diese Gradwanderung zwischen präzisen Dialogen und Slapstick.“

Morgen ist auch noch ein Tag (C'è ancora domani, 2023, Regie: Paola Cortellesi)

Prof. Dr. Wolfgang Willaschek: „Ich habe aus familiären Gründen eine Beziehung zu diesem in Italien und jetzt auch in Deutschland sehr erfolgreichen Film. Er setzt Maßstäbe, weil er auf überzeugende Art und Weise gesellschaftspolitisches Statement (Gewalt gegen Frauen im Nachkriegsitalien von 1946 mit Gegenwartsbezug), Filmdramaturgie (Fiktion zwischen Aufklärung und Unterhaltung) und faszinierende Ästhetik (in Schwarz-Weiß gedreht auf dem besten Stand heutiger Kameratechnik) miteinander verbindet.“

Do Not Expect Too Much From the End of the World (2023, Regie: Radu Jude)

Mathias Zeiske: „Ein unendlich lustiger, aufrüttelnder, anarchistischer Roadtrip durch das spätkapitalistische Bukarest, durch Europa und auch durch die Sozialen Medien. Radu Jude gelingt das seltene Kunststück eines rund dreistündigen Films, nach dem die Zuschauenden das Kino wacher verlassen, als sie hineingegangen sind.“

Blood Diamond (2006, Regie: Edward Zwick)

Abigail Mann: „Der Film verwebt auf meisterhafte Weise ein spannendes Abenteuer und einen ergreifenden Kommentar zum Bürgerkrieg in Sierra Leone und zum weltweiten Diamantenhandel. Er zeigt die ungeheure Kraft des Kinos, historische Ereignisse zum Leben zu erwecken und einen auf eine Weise zu fesseln und zu bewegen, wie es bloße Fakten und Zahlen nicht können.“

Solo Sunny (1978, Regie: Konrad Wolf)

Dr. Mariana Ivanova: „Mein Lieblingsfilm bei der DEFA ist Konrad Wolfs letzter Film ,Solo Sunny‘ über eine Sängerin aus dem Prenzlauer Berg in Berlin, die alles auf ihre Kunst setzt, auf ihre Träume und den Wunsch, sich selbst treu zu bleiben.“

Der Dritte (1972, Regie: Egon Günther)

Dr. Victoria Rizo Lenshyn: „Mein Lieblingsfilm bei der DEFA ist Egon Günthers ,Der Dritte‘. Er handelt von einer alleinerziehenden Mutter und Mathematikerin, die die Initiative ergreift und sich auf die Suche nach einem guten Partner im Privatleben und Chancengleichheit im Berufsleben macht.“

IO (2022, Regie: Jerzy Skolimowski)

Dr. Kalina Kupczyńska: „Mein Lieblingsfilm aus Polen derzeit ist ,IO‘ – oscarnominiert, in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. Der Hauptprotagonist ist ein Esel und es geht dort vor allem um die Wahrnehmung der Tiere. Einfach großartig.“

Leila’s Brothers (2022, Regie: Saeed Roustaee)

Mehmood Ali Khan: „Der Film schildert die Geschichte einer Familie, die in einer Einzimmerwohnung in Teheran von der Hand in den Mund lebt. Die Geschichte wirkt nebensächlich im Vergleich zum nationalen Diskurs über Politik und Macht in Iran, aber der wirtschaftliche Aspekt der Geschichte rückt sie in den Mittelpunkt des nationalen Diskurses. Der Film zeigt, wie die amerikanischen Sanktionen die Ärmsten der Armen im Land treffen, während sie für die herrschenden Eliten und Theokratie keinen Unterschied machen.“

Sherlock Holmes (2009, Regie: Guy Ritchie)

Janet Philip Adeshina: „,Sherlock Holmes’ steht für Spannung, Knobeln und clevere detektivische Arbeit beim Lösen von Rätseln. Mich fesselte die faszinierende Wendung der Geschichte.“

Verwitterte Melodie (1942/43, Regie: Hans Fischerkoesen)

Megumi Hayakawa: „In diesem Zeichentrickfilm entdeckt eine Wespe ein altes Grammophon und findet dann heraus, dass sie mithilfe ihres Stachels darauf Schallplatten abspielen kann. Für die anderen Wiesenbewohner arrangiert sie dann ein kleines Konzert.“

Filmtipps der Letter-Redaktion

Toni Erdmann (2016, Regie: Maren Ade)
Frühling, Sommer, Herbst, Winter . . . und Frühling (2003, Regie: Kim Ki-Duk)
Les Garçons Sauvages (2017, Regie: Bertrand Mandico)
The Remains of the Day (1993, Regie: James Ivory)
The Zone of Interest (2023, Regie: Jonathan Glazer)