Im Austausch

„Viele Geschichten aus Nigeria sind noch nicht erzählt“

Seit 2019 bietet die University of Jos in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität Frankfurt den ersten Masterstudiengang für Filmarchivierung und Filmkultur in Afrika an. Das deutsch-nigerianische Kooperations­programm bringt Filmschaffende aus aller Welt zusammen.

Ausgabe 1 | 2024

Text: Gunda Achterhold

Abigail Mann ist stolz auf ihr Abschlussprojekt. Zusammen mit anderen Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt erarbeitete die Nigerianerin eine filmische Dokumentation zu Kulturfestivals in Jos. „Wir kommen alle aus einem anderen Kulturraum, und doch verfolgen wir das gleiche Ziel: gute Filme zu machen, in denen wir uns mit unserem kulturellen Erbe beschäftigen und eine bessere Vorstellung von unserer Geschichte vermitteln.“ Die 32 Jahre alte Filmwissenschaftlerin ist eine der Teilnehmenden des afrikaweit ersten Masterstudiengangs Film Culture and Archival Studies, den die Goethe-Universität seit 2019 als Kooperationsstudiengang mit der University of Jos anbietet.

Nach Indien ist Nigeria laut UNESCO-Statistiken das produktivste Filmland der Welt. Pro Jahr erscheinen rund tausend Spielfilme, in englischer Sprache und in den drei Hauptsprachen des Landes: Igbo, Hausa und Yoruba. Ziel des Masterstudiengangs Film Culture and Archival Studies ist es, Archivierungsexpertinnen und -experten auszubilden, die dieses reiche kulturelle Erbe Afrikas auswerten und konservieren.

In Nigeria arbeitet Abigail Mann als Produzentin und Autorin für eine Mediengesellschaft. „Ich wollte mehr über die kulturellen Praktiken des Filmemachens erfahren und lernen, wie sich Filme für künftige Generationen bewahren lassen“, erklärt sie. Die Bedeutung der Katalogisierung und der audiovisuellen Archivierung war bereits Thema ihrer Abschlussarbeit an der University of Jos. „Ich hatte viel über Deutschland mit seinen umfangreichen historischen Sammlungen gelesen und war beeindruckt.“ Während ihres Gastsemesters besuchte sie Museen und Archive unter anderem der beiden Kooperationspartner des Studiengangs, des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums (DFF) in Frankfurt und des Instituts für Film und Videokunst Arsenal in Berlin. Gleichzeitig lernte sie in dem praxisorientierten Studiengang auch viel über das Filmemachen: „Es reicht nicht, eine interessante Geschichte auszuwählen, eine Kamera zu nehmen und zu drehen. Man muss wissen, was die Story braucht, und welchen Mehrwert sie für die Gesellschaft hat.“

Neben Stipendien für ein Gastsemester an der Goethe-Universität in Frankfurt, wie Abigail Mann es erhielt, umfasst das vom DAAD geförderte Kooperationsprojekt auch ein Train-the-Trainer-Stipendienprogramm. Es richtet sich gezielt an akademisches und technisches Personal der staatlichen Filmagentur Nigerian Film Corporation, die unter anderem den Import und Export ausländischer und nigerianischer Filme reguliert. Zu ihr gehören das National Film, Video and Sound Archive (NFVSA) und das National Film Institute. Mit beiden arbeitet die University of Jos eng zusammen. Das Train-the-Trainer-Programm ist darauf ausgelegt, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auszubilden, die ihr Wissen an andere weitergeben.

„Es reicht nicht, eine interessante Geschichte auszuwählen, eine Kamera zu nehmen und zu drehen. Man muss wissen, was die Story braucht, und welchen Mehrwert sie für die Gesellschaft hat.“

Filmwissenschaftlerin Abigail Mann

Eine dieser Multiplikatorinnen ist Janet Philip Adeshina, die seit 15 Jahren für das NFVSA in Jos arbeitet. Von dem Masterstudiengang verspricht sie sich, neues Wissen aufzubauen und so ihre Leistung im Bereich Digitalisierung, Katalogisierung und Klassifizierung zu verbessern. Die 49-Jährige studierte berufsbegleitend, im Sommer 2023 nahm sie zusammen mit einem Kollegen an einer fünfwöchigen Fortbildung im Archiv des Arsenal-Instituts in Berlin teil. „Wir waren dort Teil des Arsenal-Teams und bearbeiteten Filme, die aus dem Libanon kamen“, berichtet sie. Neben der praktischen Erfahrung im Prüfen, Reparieren oder Scannen von Filmen eröffnete ihr das Training in Berlin auch neue Perspektiven auf den internationalen Film. „In unserem Filmarchiv drehen sich die meisten Filme hauptsächlich um die Kultur Nigerias und das schwarze Erbe.“

Während eines zehntägigen Workshops Anfang 2024 in Jos übernahm Janet Philip Adeshina dann bereits die Rolle der Co-Trainerin: Drei Experten des Arsenal-Instituts kamen nach Jos, um die Masterstudierenden und das Personal des Nationalen Filmarchivs zu schulen. „Das war ein großer Erfolg“, sagt Alo Paistik, Koordinator des Kooperationsprogramms an der Goethe-Universität Frankfurt. „Die Workshopthemen deckten fast die gesamte Kette der Archivierung ab, von der Archivverwaltung über den möglichst schonenden Umgang mit Filmmaterial bis hin zur Digitalisierung von Filmen.“ Die Teilnehmenden des Studiengangs in Jos seien oft sehr breit aufgestellt und bringen vielfältige Erfahrungen aus der Filmbranche mit – als Produzenten, Autoren oder Filmemacher. „Das archivbezogene Wissen nach Jos zu transferieren, ist daher eine wichtige Aufgabe.“

Abigail Mann möchte in Zukunft Filme machen, die sich mit Nigeria beschäftigen. Die Begeisterung und das Interesse ihrer Mitstudierenden an der Geschichte ihrer eigenen Herkunftsländer hätten sie angespornt, sich mehr mit der Geschichte und der Kultur Nigerias zu beschäftigen. „Viele Geschichten aus Nigeria sind noch nicht erzählt“, sagt sie. Das Stipendium habe als Plattform für den Austausch von Ideen gewirkt. „Die Möglichkeit, kulturelle Inhalte zu dokumentieren und zu bewahren, sie zu restaurieren, zu erhalten und digital zugänglich zu machen, hat für mich dabei oberste Priorität.“ ―