Text: Klaus Lüber
Verantwortung des Erinnerns
Damit globaler Wissenschaftsaustausch auf Augenhöhe stattfinden kann, muss sich Deutschland seiner historischen Verantwortung als Diktatur und Kolonialmacht stellen. Neue DAAD-Programme leisten hierzu einen wichtigen Beitrag.
Die Welt steht vor immensen globalen Herausforderungen – sei es der Klimawandel, die nach wie vor schwelende Pandemie oder, ganz allgemein gesprochen, all jene desaströsen atmosphärischen, biologischen oder geologischen Prozesse, welche die Menschheit im sogenannten Zeitalter des Anthropozäns durch ihr Verhalten selbst auslöst. Viele Expertinnen und Experten sind sich sicher: Für eine Lösung braucht es eine „globale Verantwortungsgemeinschaft“, wie es der DAAD Ende Oktober 2021 in einem Strategiepapier zur Außenwissenschaftspolitik der kommenden Jahre formuliert hat. „Wir erleben einen echten Epochenwechsel“, sagt Dr. Ursula Paintner, Direktorin der Abteilung Kommunikation im DAAD.
Dieser Verantwortung begegnet der DAAD mit neuartigen internationalen Programmstrukturen, die den so dringend benötigten Austausch auf Augenhöhe, besonders mit Ländern des Globalen Südens, fördern. Die 2021 gestarteten, insgesamt acht Globalen Zentren zu den Themen Klima und Umwelt sowie Gesundheit und Pandemievorsorge sind dafür ein Beispiel. Aber entscheidend sind auch Programme, mit deren Hilfe die historische Verantwortung Deutschlands und des Westens gegenüber anderen Regionen reflektiert werden kann. „Unser zentrales Ziel muss die ernsthafte, partnerschaftliche Zusammenarbeit sein“, betont Ursula Paintner. „Und die kann im internationalen Austausch nur dann wirklich gelingen, wenn wir für unser koloniales Erbe sensibel werden. Nur dann ist es möglich, historisch geprägte Machtkonstellationen zu überwinden.“
Dazu beitragen soll das neue DAAD-Programm German Colonial Rule. Seit Dezember 2021 werden neun Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Staaten, die unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben, mit Promotionsstipendien zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte unterstützt. Geforscht wird an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an den Universitäten Bonn, Düsseldorf, Gießen, Kassel und Köln.
Wichtig ist in diesem Kontext auch die Debatte um die Restitution von Kulturgütern. Die Rückgabe der in deutschen Museen lagernden Benin-Bronzen an Nigeria ist ein erster, bedeutender Schritt. Über die Restitution hinaus kann auch der Austausch auf fachlicher und institutioneller Ebene hilfreich sein, um neue Formen der Kooperation zu etablieren. Genau dies ist das Ziel des Projekts TheMuseumsLab, das der DAAD in Zusammenarbeit mit dem Berliner Museum für Naturkunde, der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der afrikanischen Beratergruppe The Advisors sowie einer Reihe weiterer Museen und Kultureinrichtungen ins Leben gerufen hat. Seit Mai 2021 unterstützt TheMuseumsLab die Weiterbildung und Vernetzung von Fachkräften aus europäischen und afrikanischen Museen und leistet damit auch einen Beitrag zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte.
Wenn es um Erinnerungskultur aus deutscher Perspektive geht, sind natürlich nach wie vor die zwei Weltkriege und die Diktatur des Nationalsozialismus wesentlich. Wie vielschichtig sich deutsche Erinnerungskultur bei der Aufarbeitung der NS-Zeit inzwischen zeigt, darum geht es beim transatlantischen Programm Germany Close Up – North American Jews Meet Modern Germany, das der DAAD seit März 2021 betreut. Es richtet sich an jüdische Studierende und junge Berufstätige aus Nordamerika im Alter von 18 bis 39 Jahren, die sich ein eigenes Bild von der deutschen Geschichte und Gegenwart machen wollen.
„Für den DAAD ist das Thema Erinnerungskultur auch deshalb zentral, weil unsere Gesellschaft sich auch in einem erinnerungskulturellen Umbruch befindet“, erklärt Ursula Paintner. Deshalb sei es so wichtig, einen guten Umgang mit der Vergangenheit zu finden. Gerade jetzt, da es bald keine Zeitzeugen für die Zeit des Nationalsozialismus mehr geben werde und Erinnerung eine neue Form finden müsse, stärker dokumentiert und institutionalisiert. „Geschichtsvergessenheit darf für uns keine Option sein.“ —