Das ist kein politisches Problem“, erklärte John Kerry, ehemaliger Außenminister und erster US-amerikanischer Sonderbeauftragter für den Klimawandel, gegenüber seinen Amtskollegen in China während eines Besuchs zur Besprechung des Klimawandels im Juli 2023. „Wir möchten niemandem irgendetwas vorschreiben. Und wenn überhaupt, ist es die Wissenschaft, die die Parameter vorgibt, nach denen wir alle leben sollten.“
Während sich die politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Nationen verschlechtert haben, wollte die US-Regierung die Klimadiplomatie nutzen, um nicht nur die Erderwärmung zu bekämpfen, sondern auch um strategische Fragen wie Handel, Überwachung und die Taiwan-Krise zu klären. Das Wetter in China, so dachte zumindest die US-Regierung, war auf Kerrys Seite. Während des Treffens mit Chinas Ministerpräsident Li Qiang legte Kerry einen Bericht vor, der eine Temperaturmessung von 52 Grad Celsius in China nur wenige Tage zuvor belegte. Der Bericht lieferte einen stichhaltigen, wissenschaftlichen Beweis für die Dringlichkeit, mit der China davon überzeugt werden musste, seine Treibhausgasemissionen zu verringern und Kohlekraftwerke abzubauen. Die chinesische Reaktion kam sofort. Li Qiang hinterfragte schlicht und einfach die Quelle und fuhr mit der Diskussion fort. John Kerry ist ein erfahrener Vermittler. Er gehörte zu denjenigen, die Vereinbarungen zur Beschränkung des iranischen Atomprogramms aushandelten, und unterzeichnete 2015 für die USA das Pariser Klimaabkommen.
Während der russische Krieg in der Ukraine die geopolitische Landkarte umgeschrieben hat, sieht sich die nationale Außenpolitik neuen Herausforderungen gegenüber: vom Klimawandel über die Rolle von Künstlicher Intelligenz bis hin zum Wiederaufflammen einer nuklearen Bedrohung und tödlichen Pandemien. Der Begriff „Wissenschaftsdiplomatie“ erfasst, zumindest über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg, den Einfluss und die entscheidende Bedeutung von Wissenschaft und Technologie für internationale Angelegenheiten sowie deren Rolle bei der Lösung internationaler Konflikte. Anders gesagt: Indem sie die Wissenschaft nutzt, um globale Herausforderungen (wie etwa den Klimawandel oder den Krieg in der Ukraine) anzusprechen oder um verfahrene diplomatische Verhandlungen (wie das Atomabkommen mit Iran) wieder auf Kurs zu bringen, spielt die Wissenschaftsdiplomatie eine bedeutende Rolle in internationalen Beziehungen.
Einfach ausgedrückt, zielt die Wissenschaftsdiplomatie häufig darauf ab, Wissenschaft als Hauptinstrument einzusetzen, um die Politik eines anderen Landes so zu beeinflussen, dass es für das eigene Land vorteilhaft ist. Aber wie funktioniert sie in der Praxis, und ist Wissenschaft wirklich so für sich stehend und objektiv, wie Politikberater meinen? Was zu der Frage führt, wie viel politische Kraft eigentlich eine Temperaturmessung hat.
Trotz hoher Erwartungen kehrte Kerry, wie The New York Times berichtete, mit leeren Händen aus China zurück, ohne zu einem Treffen mit Chinas Präsident Xi Jinping eingeladen worden zu sein. Stattdessen war es Henry Kissinger, der 100 Jahre alte Spitzendiplomat und ehemalige US-Außenminister, der die Ehre erhielt, Xi Jinping einen Tag nach der Abreise Kerrys im Staatsgästehaus Diaoyutai in Peking zu treffen. Offen bleibt, wer Kissinger nach Peking eingeladen oder gesandt hat. Während des Besuchs beschrieb Chinas Außenminister Wang Yi Kissinger als den Diplomaten, der vor mehr als einem halben Jahrhundert „historische Beiträge dazu geleistet hat, das Eis in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu brechen“ und der eine „unersetzliche“ Rolle bei der Stärkung des Verständnisses zwischen den beiden Nationen innegehabt habe.
Tatsächlich war Kissinger im Jahr 1971 von Pakistan aus nach Peking geflogen, um im Geheimen den China-Besuch von US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1972 auszuhandeln und vorzubereiten. Im Memorandum an Nixon am Tag seiner Rückkehr in die USA berichtete Kissinger von einer Führung durch ein Krankenhaus, in dem ihm die uralte chinesische Praxis der Akupunktur vorgeführt worden sei. Dort sei er Zeuge von drei größeren operativen Eingriffen geworden, bei denen die Patienten mithilfe von Akupunkturnadeln betäubt worden waren. Kissinger war von dieser „außergewöhnlichen“ Erfahrung eines diplomatischen Gesandten in einem anderen Land verblüfft. Die Akupunkturnadel wurde offenkundig zu einem der wichtigsten diplomatischen Mittel und veränderte die Geschichte der amerikanisch-chinesischen Beziehungen mit Auswirkungen auf internationale Angelegenheiten auf globaler Ebene. Während der 1970er-Jahre faszinierte dieser Aspekt der „kommunistischen Wissenschaft“ die amerikanische Bevölkerung und bereitete den Weg für die „Diplomatie der Stabilität“, wie es Kissinger kürzlich in einem Interview mit der Zeitung The Economist ausdrückte.
Doch wie kommt es, dass eine Akupunkturnadel, ein in der westlichen Wissenschaft mit Skepsis betrachtetes wissenschaftliches Instrument, und nicht etwa ein „wissenschaftlich solide fundierter“ Wetterbericht mit Temperaturmessung das erfolgreichere Mittel zur Kursänderung der internationalen Beziehungen in einem ebenso festgefahrenen – wenngleich vollkommen anderen – diplomatischen Kontext darstellte?
Die Akupunkturnadel wurde vor mehr als 3.000 Jahren als Teil der traditionellen chinesischen Medizin entwickelt und gilt auch heute noch als alternative und komplementäre Medizin in den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Nationen. Erst in den späten 1990er-Jahren empfahlen die US-amerikanischen National Institutes of Health, Akupunktur an medizinischen Fakultäten zu lehren, und räumte damit teilweise deren wissenschaftlichen Wert ein. Temperaturmessungen genießen hingegen ein unangefochtenes wissenschaftliches Ansehen in westlichen Wissenschaftszentren. Halten wir kurz inne und betrachten die Lehren aus den Forschungserfahrungen der Geisteswissenschaften.