Herr Diamond, Sie sind Menschenrechtsaktivist und mussten aus diesem Grund 2021 aus Myanmar fliehen. Was hatte den Anstoß zu Ihrem politischen Engagement gegeben?
Nickey Diamond: Seit der Unabhängigkeit Myanmars werden ethnische und religiöse Minderheiten in dem buddhistisch geprägten Land diskriminiert. Die Folgen habe ich schon als Jugendlicher zu spüren bekommen: Obwohl meine muslimische Familie seit Generationen in Myanmar lebt, wurden wir nicht als Staatsbürger anerkannt. Wir durften nicht wählen, kein Konto eröffnen und unsere Heimatregion Mandalay nicht verlassen. Nach meinem Schulabschluss habe ich jahrelang darum gekämpft, einen Pass zu bekommen. Über diesen Kampf habe ich in Sozialen Medien berichtet – das war der Anfang meines politischen Engagements. 2007 habe ich die Organisation „Youth for Social Change“ gegründet, die benachteiligte Jugendliche in Myanmar unterstützt. Zwischen 2016 und 2021 habe ich für die Menschenrechtsorganisation „Fortify Rights“ zahlreiche Gewalttaten dokumentiert, die Militär und Polizei an Musliminnen und Muslimen verübt haben.
Welche Rolle spielt die Verbreitung von Hassreden im Hinblick auf den Völkermord an den muslimischen Rohingya im Bundesstaat Rakhine und andere Gräueltaten in Myanmar?
Nickey Diamond: In meiner Forschung gehe ich, aufbauend auf moderner politik- und rechtsanthropologischer Forschung, genau dieser Frage nach: Wie und in welchem politischen Kontext motivieren Hassreden Menschen zu Gewalt? Dazu werte ich eine Vielzahl burmesischer Originalquellen aus, die ich über die Jahre in Myanmar gesammelt habe. Neben antimuslimischen Pamphleten und Videos sind das auch Mitschriften von „dhamma talks“, öffentlichen Vorträgen, die Mönche über die buddhistische Lehre halten. In Myanmar wird über diese Vorträge auch Hass gegen Muslime und andere Minderheiten legitimiert. Meiner Überzeugung nach sind Hassreden Frühwarnungen. In einer Demokratie ist es die Aufgabe der Regierung, dem Hass aktiv etwas entgegenzusetzen. Das ist in der Reformära von 2011 bis zur Entmachtung von Regierungschefin Aung San Suu Kyi im Februar 2021 leider nicht geschehen, im Gegenteil: Die Abschaffung der Zensur hat Hass und Hetze sogar noch befördert. Heute ist Myanmar in Chaos und Gewalt versunken.