Im Überblick

Zusammenarbeit in veränderten Zeiten

Wie sich der DAAD in der Außenwissenschaftspolitik engagiert – und warum international vernetzte Forschung heute wichtiger denn je ist.

Ausgabe 2 | 2023

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im vergangenen Jahr markierte eine Zäsur für die Politik und auch für das deutsche Wissenschaftssystem. Eine Diskussion nahm Fahrt auf, die schon früher begonnen hatte: Wie kann die deutsche Außenwissenschaftspolitik den Herausforderungen einer veränderten Welt begegnen?

„Wir leben in einer neuen ‚Welt-Unordnung‘ und dies erfordert einen neuen Angang an die Gestaltung der außenwissenschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“, sagt DAAD-Präsident Professor Joybrato Mukherjee. „In unserer multipolaren Welt brauchen wir heute mehr denn je eine strategisch aufgestellte Science Diplomacy, die auch in Zeiten zunehmender Konflikte und eines harten globalen Wettbewerbs Verständigung, Dialog und Aushandlung von Konflikten im wissenschaftlichen Raum ermöglicht.“

Der DAAD plädierte schon 2021 für eine neue Außenwissenschafts-Realpolitik. „Wir dürfen nicht glauben, dass bei wissenschaftlicher Kooperation und Austausch alle Partner immer dieselben Ziele verfolgen und ein gemeinsames Wertefundament teilen“, sagt Dr. Sven Werkmeister, Direktor der Abteilung Strategie im DAAD. Notwendig sei ein „sachlich-rationaler Blick“: „Es geht darum, Chancen und Risiken von Kooperationen genau zu analysieren und zu reflektieren. Gerade im Kontext geopolitischer Konfliktkonstellationen bedarf es eines informierten Abwägens zwischen den Möglichkeiten, die ein konkretes Kooperationsprojekt eröffnet, und seinen potenziellen Risiken wie zum Beispiel Spionage oder unerwünschtem Wissensabfluss.“

Zugleich betont Werkmeister, international vernetzte Forschung sei heute wichtiger denn je: „Die Klimakrise, der Verlust an Biodiversität oder Fragen der künftigen Versorgung mit Energie und Rohstoffen können nicht auf nationaler Ebene, sondern nur global angegangen werden.“ Und nach wie vor profitiere Deutschland sehr vom internationalen wissenschaftlichen Austausch: nicht nur durch Erkenntnisgewinne in der Forschung, sondern auch durch eine bessere akademische Qualifizierung und mehr interkulturelle Kompetenz der Studierenden und Lehrenden. Nicht zuletzt, so Werkmeister, bildeten weltweite Alumninetzwerke langfristige Grundlagen für partnerschaftlichen Austausch und Zusammenarbeit.

In dem Positionspapier „Außenwissenschaftspolitik für eine multipolare Welt“ schlägt der DAAD fünf Grundsätze für die Gestaltung einer Science Diplomacy vor, die sich bewusst den globalen Krisen und Systemrivalitäten stellt: Außenwissenschaftspolitik müsse demnach wertebasiert, verantwortungsorientiert, interessengeleitet, regional differenziert und risikoreflexiv sein. Konkret würden alle Aspekte am Beispiel Chinas, erläutert Werkmeister: „China ist einerseits ein Partner, ohne den die globale Verantwortungsgemeinschaft die Herausforderungen des Anthropozäns nicht lösen kann. In zentralen Forschungsindikatoren wie der Zahl naturwissenschaftlicher Publikationen gehört China inzwischen zur Weltspitze und ist auch ein wichtiges Entsendeland internationaler Studierender nach Deutschland. Andererseits ist China ein Land, in dem es keine Wissenschaftsfreiheit in unserem Sinne gibt und in dem auch die Grenze zwischen ziviler und militärischer Forschung häufig fließend ist.“

„In unserer multipolaren Welt brauchen wir heute mehr denn je eine strategisch aufgestellte Science Diplomacy.“

Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, DAAD-Präsident

Deutsche Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssten deswegen situations- und kontextspezifisch immer wieder verantwortungsbewusst reflektieren, welchen Interessen eine Kooperation dient und welchem Wertekompass sie folgt. Im Fall Russlands sei die Grenze überschritten: Solange der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine andauert, sei keine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen möglich.

Die Strategie des DAAD entspricht der Neuausrichtung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands. Im Juli 2023 beschloss die Bundesregierung erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie. Sie sieht auch die Stärkung einer wertebasierten und interessengeleiteten Science Diplomacy vor. „Leistungsfähigen Mittlerorganisationen“ wie dem DAAD kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Durch sein weltweites Netzwerk in mehr als 70 Ländern verfügt der DAAD über ein umfassendes Bild der Lage in den jeweiligen Regionen.

Das Wissen aus diesem Netzwerk bündelt sich im Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) des DAAD, das Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu internationalen Kooperationen berät. Im Januar 2021 wurden „Policy Talks“ von KIWi ins Leben gerufen – Hybrid- und Onlineveranstaltungen, die auch aktuelle außenwissenschaftliche Fragen behandeln. „Dabei kooperieren wir eng mit den Kolleginnen und Kollegen im DAAD-Außennetzwerk. Sie können sehr gut einschätzen, welche aktuellen Themen aus ihren Ländern für deutsche Hochschulen besonders interessant sind“, sagt DAAD-Referatsleiterin Dr. Claudia Nospickel. Auf besonders großes Interesse stieß mit rund 1.000 Anmeldungen der Policy Talk über Science Diplomacy in Kriegszeiten im März 2022.

Mehrere DAAD-Programme verfolgen im engeren Sinne (wissenschafts)politische Ziele: So unterstützen die Ta’ziz-Partnerschaften mit Hochschulen in Nahost und Nordafrika Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftliche Partizipation in der Region. 2022 wurde neben neuen Programmen für die Ukraine auch das Stipendienprogramm Empower Future Female ­Afghan Leaders (EFFAL) ins Leben gerufen. Das aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ­finanzierte Programm soll vor allem jungen Frauen aus Afghanistan, die vor den Taliban nach Bangladesch, Kirgistan oder Pakistan geflüchtet sind, ein Studium in diesen Ländern ermöglichen. „So haben sie weiterhin Zugang zu Bildung – und können später beim Wiederaufbau Afghanistans mitwirken“, sagt Malek ­Tarhouni aus dem Team EFFAL.

Um das wichtige Thema vertiefter zu diskutieren, kooperiert der DAAD darüber hinaus auch mit anderen Organisationen. Gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) veranstaltete er beispielsweise im Juli 2023 einen Workshop „Wissenschaftsdiplomatie in Zeiten geopolitischer Konflikte“, an dem auch Vertreterinnen und Vertreter des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie Bundestagsabgeordnete teilnahmen. „In vertrauensvoller Atmosphäre wurden die Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaftsdi­plomatie als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik ausgelotet“, sagt die stellvertretende Direktorin der SWP und langjährige DAAD-Mitarbeiterin Dr. Simone Burkhart. Die vertiefte Zusammenarbeit solle fortgeführt werden, etwa mit Veranstaltungen zu bestimmten Regionen oder Themen. „Die SWP verfolgt einen wissenschaftsbasierten Ansatz der Politikberatung, während der DAAD ein sehr breites Erfahrungswissen über Möglichkeiten und Formen internationaler Wissenschaftskooperation hat“, erläutert Burkhart: „Diese Kombination macht den Austausch so interessant.“ —

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Als Auftakt der Veranstaltungsreihe „Wissenschaft und Politik im Dialog“ findet am 12. Dezember 2023 ein weiterer KIWi Policy Talk über „Internationale Wissenschaftskooperationen und Science Diplomacy in geopolitisch herausfordernden Zeiten“ statt. Die Podiumsdiskussion wird von 10 Uhr bis 11:30 Uhr per Live Stream übertragen. Interessierte können sich hier registrieren.