Zum Nachdenken

„Nicht weniger Kooperation, sondern mehr“

Wer die Welt zum Besseren verändern will, braucht Analyse, Hoffnung und eine Portion Mut. Davon ist Dr. Dagmar Pruin, DAAD-Alumna und Präsidentin von Brot für die Welt, überzeugt.

Ausgabe 2024 | 2025

Die Welt steht inmitten vielschichtiger Herausforderungen, die keine Grenzen kennen und das Leben von Millionen Menschen beeinflussen. Internationale Zusammenarbeit, Wissensaustausch und die Förderung gemeinsamer nachhaltiger und gerechter Lösungsansätze sind erforderlich, um sie zu bewältigen. Dabei spielt die Zivilgesellschaft als Motor für Veränderung eine Schlüsselrolle – und das weltweit.

Gemeinsam mit mehr als 1.500 Partner­organisationen ermöglicht Brot für die Welt als Teil einer globalen Zivilgesellschaft in fast 90 Ländern, dass benachteiligte Menschen ihre Lebenssituation aus eigener Kraft nachhaltig verbessern. Mit ihnen setzt sich das Hilfswerk für globale Veränderungen und gegen Hunger, Armut und die Folgen des Klimawandels ein. Wir erheben unsere Stimme für eine gerechte Welt.

Doch die Entwicklungszusammenarbeit steht seit Monaten in einer Weise in der öffentlichen Kritik, die in dieser Form neu ist. An die Stelle von stets legitimen Diskussionen zu Schwerpunktsetzungen oder der Frage, wie sich die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen messen lässt, sind pauschale Diffamierungen getreten. Im Kern ist ein vom Rechtspopulismus beförderter Versuch zu beobachten, globale Solidarität als naiv und schädlich für Deutschland zu verunglimpfen. Ein seit Jahrzehnten gepflegter Konsens, dass eine aktive Entwicklungspolitik wichtiger Teil deutscher Verantwortung in der Welt ist, wird in einem durch Wahlkämpfe aufgeheizten politischen Klima teilweise aufgekündigt. Das ist kurzsichtig und falsch.

Wir brauchen nicht weniger Kooperation, sondern mehr. Das gilt für Klimapolitik: Jede Tonne CO2, die irgendwo auf der Welt eingespart wird, ist gut für das Klima auf der ganzen Welt. Es gilt auch für Ernährungspolitik: Wenn wir unsere subventionierten Überschüsse billig in Länder des Globalen Südens verkaufen, hemmen wir dort die Entwicklung und die ­Fähigkeit, die Bevölkerung ohne Importe – und damit krisenfester – zu versorgen. Mehr Kooperation brauchen wir ebenso für eine sichere Welt: Gute Entwicklungszusammenarbeit beugt ­Konflikten vor und hilft, Frieden zu sichern.

Zivilgesellschaft als Motor für Veränderung

Bildung und Wissenschaft spielen eine zentrale Rolle. Sie sind wesentliche Grundlagen für fundierte Analyse, Erkenntnisse und politische Entscheidungen. Wir brauchen interdisziplinäre Forschungsansätze, die ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen einbeziehen, um ganzheitliche Lösungen für globale Herausforderungen zu entwickeln. Akademischer Austausch auf internationaler Ebene kann dazu ­beitragen, Wissenslücken zu schließen und Best-Practice-Modelle zu ent­wickeln, die lokal angepasst werden können. Wichtig dabei ist, den ­Dialog so zu führen, dass Stimmen aus dem Globalen Süden, indigene Perspektiven und lokale Gemeinschaften einbezogen werden.

Eine weitere zentrale Rolle spielt die Zivil­gesellschaft als Motor für Veränderung. Dabei wird der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure weltweit immer kleiner. Nur noch zwei Prozent der Weltbevölkerung leben in Staaten mit uneingeschränkten Freiheiten in Bereichen wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder dem uneingeschränkten Zugang zum Internet. Entwicklungszusammenarbeit ist ein wichtiger Schlüssel, um weiterer Erosion entgegenzuwirken, da sie den Aufbau und Erhalt demokratischer Strukturen inklusive einer aktiven Zivilgesellschaft unterstützt.

Unsere Partner zeigen immer wieder viel Mut, wenn sie sich trotz schwieriger Umstände für die Menschen vor Ort einsetzen. Damit säen sie Hoffnung für eine bessere Zukunft. Diese Hoffnung weiterzusagen und trotz aller Widrigkeiten auf dieser Hoffnung zu beharren, macht die Arbeit von Brot für die Welt aus. Dabei verschleiert die Rede von der Hoffnung gerade nicht die Realität, sondern bedingt eine scharfe Analyse der politischen Situationen und der Ungerechtigkeiten, in denen wir leben.

„Hoffnung und tatkräftiger, manchmal auch zorniger Mut sind Treiber für den Einsatz für Gerechtigkeit, für globale Solidarität und gegenseitigen Respekt.“

Besonders empfänglich für diese Analysen sind junge Menschen, und sie sind diejenigen, die am längsten mit den Folgen der politischen Entscheidungen leben müssen. Der Klimawandel, der Verlust an biologischer Vielfalt und die sozialen Ungerechtigkeiten werden sie in den kommenden Jahrzehnten besonders betreffen. Sie haben daher ein legitimes Interesse daran, aktiv an der Gestaltung ihrer Zukunft mitzuwirken. Und viele von ihnen haben den Mut, ihre Perspektiven, die oft innovativ, kreativ und frei von eingefahrenen Denkmustern älterer Generationen sind, zu demonstrieren und sich dafür einzusetzen. Bewegungen wie Fridays for ­Future haben gezeigt, dass junge Menschen enorme Mobilisierungskraft besitzen und den politischen Diskurs maßgeblich beeinflussen können. Ihre Fähigkeit, global vernetzt zu agieren und dabei innovative Kommunikationsstrategien zu nutzen, zeigt, dass sie eine Schlüsselrolle in der gesellschaftlichen Transformation spielen.

Bei Brot für die Welt sind wir froh, Impulse von der Brot für die Welt Jugend, von unserem ­Futureboard – das sind junge Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Ländern, die un­sere Arbeit begleiten –, jungen Menschen im Freiwilligendienst sowie Stipendiatinnen und Stipendiaten zu bekommen.

Hoffnung und tatkräftiger, manchmal auch zorniger Mut sind Treiber für den Einsatz für Gerechtigkeit, für globale Solidarität und gegenseitigen Respekt. Damit – und auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und ethischer Prinzipien – müssen wir den ­Dialog in unserer Gesellschaft und weltweit aufrechterhalten. Gerade in Zeiten zunehmender politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheiten und angesichts der zahl­reichen Herausforderungen ist dies unverzichtbar. —

Dr. Dagmar Pruin ist Präsidentin der evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophen­hilfe. Brot für die Welt zielt auf die Überwindung von Armut, die Bewahrung der Schöpfung, die Verwirklichung der Menschenrechte und den Aufbau friedensfähiger und gerechter Gesellschaften ab. Pruin engagiert sich gegen Antisemitismus und leitete bis 2020 als Geschäftsführerin die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Von 2007 bis 2020 leitete sie das von ihr konzipierte Begegnungsprogramm Germany Close Up, das inzwischen der DAAD verantwortet. Mit einem Jahresstipendium des DAAD im Rahmen einer Internationalen Studien- und Ausbildungspartnerschaft studierte die evangelische Theologin 1993/1994 an der Hebräischen Universität Jerusalem. 2006 forschte sie mit DAAD-Förderung am damaligen American Institute for Contemporary German Studies, heute: American-German Institute, in Washington.